Seit Februar 2014 hat Ingo Zamperoni als ARD-Korrespondent aus den USA berichtet und sich um Themen aus der Bevölkerung und abseits des harten Politikbetriebs gekümmert. Schon als Student hat er einige Zeit in Boston gelebt, in den 90ern als Producer der ARD in Washington gearbeitet. Doch nun heißt es Abschied nehmen: Am 24. Oktober kommt Zamperoni als Moderator der Tagesthemen nach Deutschland zurück.
von Elisabeth Kagermeier
NJB: Herr Zamperoni, die Vereinigten Staaten ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben. Was hat Sie ursprünglich für das Land begeistert?
Die Faszination hat schon als Jugendlicher angefangen, weil ich im Schatten einer amerikanischen Soldatensiedlung in Wiesbaden aufgewachsen bin. Immer wenn ich mit dem Fahrrad durch die Nachbarschaft fuhr, war es wie eine Zeitreise in eine andere Welt: Vorgärten ohne Zäune und mit Garagenauffahrten, große Autos, Baseballfeld – wie man das aus amerikanischen Vororten kennt. In meiner Fantasie war es das Land, in dem Cowboys und Indianer lebten.
Die Eindrücke zeigen, dass Sie ein sehr romantisiertes Bild von den USA hatten. Wie hat sich das geändert, als Sie dort selbst gelebt haben?
Die verträumte Faszination hat sich in eine nüchterne, realistische und deswegen letztlich bessere Betrachtung gewandelt. Mir hat sich im Alltag vieles offenbart, was hier auch schlecht läuft: marode Infrastruktur, noch bürokratischere Behörden als in Deutschland, viele Obdachlose und arme Landbevölkerung, Waffengewalt und Rassismus. Da habe ich mich schon öfter gefragt: Und das soll eine Weltmacht im 21. Jahrhundert sein? Vor allem bei der Waffengewalt habe ich den Eindruck, dass sie mehr geworden ist – wahrscheinlich auch, weil sie durch Handyvideos sichtbarer wird.
Was haben die besonderen Einblicke als Korrespondent zu dem „neuen Bild” beigetragen?
In meinem Büro hängt eine Landkarte der USA, in der überall eine Pinnadel steckt, wohin ich in der Zeit als Korrespondent gereist bin. Wenn ich die anschaue, sehe ich eine Abdeckung, die einen Zugang zum Land ermöglicht, den man sonst nicht hat. Man kommt nicht nur mit den Prominenten in Berührung, sondern auch mit der Bevölkerung – von den Bewohnern auf Alaskas letzter Insel über Einwanderer an der Grenze zu Mexiko bis zu den Millionären in Florida. Da ergibt sich eine Summe aus Puzzleteilen und Facetten, die man als Urlauber oder aus der Popkultur gar nicht mitbekommt. Hier merkt man erst, wie unterschiedlich die einzelnen Staaten sind. In Deutschland ist das vielen nicht bewusst, ich nenne das immer eine „Vertrauensillusion“. Wir glauben, das Land zu kennen, aber es ist mehr eine Union einzelner Staaten – wie die EU, nur mit derselben Sprache.
Sie haben sich in den letzten Jahren immer wieder Themen abseits des harten Politikbetriebs gesucht. Warum?
Als Nummer drei im Studio und Feature-Korrespondent hatte ich den Luxus, mich viel um die längerfristigen Themen zu kümmern und unterwegs zu sein. Die Position ist genau deswegen wichtig, weil die USA mehr sind als Washington und die Küsten. Wir haben eine Verantwortung dem Land gegenüber, über das wir berichten, weil wir damit das Bild der Deutschen von den USA beeinflussen. Deswegen sollten wir auch Geschichten aus Kansas oder South Dakota machen, wo man nicht in den Urlaub hinfährt. Mir hat mal ein Kollege gesagt: Gute Geschichten gibt es überall – und mit den Worten schickte er mich dann nach Alaska, um sie zu suchen. Mir gefällt die Kombination: Man hat den Bezug zur aktuellen Weltpolitik in Washington und gleichzeitig ein sehr großes Gebiet, über das man berichten kann.
Trotz Bemühungen der Korrespondenten hat die Berichterstattung über Anschläge wie in Nizza oder Würzburg eine Diskussion losgetreten. Ist man noch „nah genug dran“ als öffentlich-rechtlichen Korrespondent ?
Bei den reinen News wie zum Beispiel bei einem Anschlag laufen die Bilder schon über einen Feed ein und die Geschichten werden oft schnell vom Schreibtisch aus erzählt. Ein Problem ist auch, dass wir hier nicht den Zugang zu Regierungskreisen wie die Kollegen in Berlin oder unsere amerikanischen Kollegen in Washington haben. Wenn wir für ein Interview anfragen, fragt sich ein amerikanischer Politiker erst einmal: Was bringt mir das? Sehen das meine Wähler? Die zu überzeugen, ist eine Herausforderung. Wofür das große Korrespondentennetz aber vor allem eine Mehrwert bietet, sind Hintergrundberichte, Reportagen und Einschätzungen. Abseits vom Groben zeigt sich dann, wie wichtig es ist, hier zu leben und das Land zu kennen.
Was zum Beispiel von Stefan Niggemeier angekreidet wurde, waren mehr die Routinen des Nachrichtenfernsehens und die Wichtigkeit der professionellen, fernsehgerechten Verpackung. Richard Gutjahr hat von Nizza aus Interviews einfach mit der Handykamera bestritten.
Es hat sich auch bei der ARD einiges verändert: Jeder Korrespondent hat die Reporter-App auf dem Handy. Wenn hier etwas passiert, könnte ich das sofort in Hamburg bei der Tagesschau auf den Server streamen. Wir haben mittlerweile auch einen Rucksack, mit dessen Inhalt wir von überall, wo Handyempfang ist, eine Schalte machen können. Früher war man da an den Satelliten-Truck gebunden, jetzt können wir oft wesentlich näher ans Geschehen. Aus Ferguson habe ich eine Schalte mit dem iPad gemacht. Das einzige Problem war: Ein Kollege dachte, ich mache gerade ein Selfie, kam auf mich zu und rief „Hey, alles klar?“ mitten in der Liveübertragung zur Tagesschau. Diese technischen Möglichkeiten und schnelleren Übertragungswege erweitern unser Spektrum. Die Weiterentwicklung darf aber kein Selbstzweck werden, gute Qualität und Mehrwert spielen eine Rolle. Wenn die schnelle Aufnahme nur wackelt und man nichts versteht, bringt es auch nichts.
Wann ist es Ihnen schwer gefallen, Eindrücke so für den Zuschauer zu Hause zu transportieren, dass der die Stimmung oder Vorgänge in den USA begreift?
Wenn man ein Thema aufbereitet, ist es eigentlich egal, ob das ein Dorf in Texas oder die Rentierjagd in Finnland ist. Eine Geschichte ist für mich in erster Linie eine Geschichte. Und die muss man gut erzählen. Das hat erstmal wenig mit dem Land zu tun.
Nun geht es wieder zurück nach Hamburg. Was werden Sie an den USA vermissen – und was garantiert nicht?
Fehlen werden mir vor allem das Wetter und das viele Licht hier in Washington. Selbst im Herbst kann man abends noch lange draußen sitzen. Auch die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der Amerikaner, die von uns Deutschen oft als oberflächlich abgetan wird, werde ich vermissen. Ich finde, das macht den Alltag oft viel angenehmer. Und dass ich Footballspiele nicht mehr tagsüber gucken kann, sondern nur noch nachts. Nicht fehlen werden mir die Schlaglöcher auf der Wisconsin Avenue, die ich jeden Tag mit dem Fahrrad runterbrettere auf dem Weg ins Studio, und dass man hier in mehr als der Hälfte der Staaten offen mit Waffen durch die Stadt laufen darf.
Wie ist es für Sie, nun wieder auf die „andere Seite“ in den Tagesthemen zu wechseln – vom Korrespondenten zum Moderator?
Die letzten drei Jahre war ich viel unterwegs, das hatte ich davor vermisst. Jetzt habe ich mich ausgetobt, konnte als Korrespondent „in the trenches“ stehen und mir die Füße dreckig machen. In Hamburg bei ARD aktuell sitzt man dafür wie eine Spinne im Netz und kann auf das ganze Korrespondentennetzwerk inner- und außerhalb von Deutschland zugreifen. Es hat sich viel getan, seit ich in die USA gegangen bin, Stichwort Flüchtlingskrise. Da gibt’s viele Themen, die ich spannend finde. Außerdem freue ich mich auf die Bundestagswahl, nachdem ich dieses Jahr schon den Wahlkampf in den USA behandelt habe.
Elisabeth Kagermeier, 24, besucht zurzeit die Deutsche Journalistenschule und arbeitet als freie Journalistin. Die Faszination für die USA teilt sie mit Ingo Zamperoni. An der Erkundung auch abseits der Küsten arbeitet sie noch – bisher stecken auf ihrer Karte in elf der 50 Staaten Pinnadeln.
Dieser Artikel ist ein Beitrag der edition ausland.